Wir genießen und schweigen
aber nein, ich hab ja einen Bericht versprochen - bittesehr:
Gehe! Go! Heissiwald!
– oder eine Expedition in den Ruhrpott mit fulminantem Endspurt.
Essen. E-Nigma 2019.
Team „zweiundvierzig“, bestehend aus Marvin, Supi, Sugus und Findus.
6.30 Uhr Frühstück, wir brauchen noch drei U-Bahnstationen bis zum Startpunkt und wollen möglichst überpünktlich im Essener Stadtpark auflaufen – schließlich sind wir schon älter und müssen unnötigen Stress vermeiden. Außerdem wollen wir gucken, ob wir noch einen Einheimischen rekrutieren können für unser Team, weil wir uns in Essen und umzu nicht auskennen und Ortskenntnisse sicher von Vorteil sind, wenn man elf Stunden (20 Uhr ist Zielschluss) auf der Jagd nach dem Schnitzel durch die Gegend hechtet. Die Idee war grundsätzlich gut, denn die Nützlichkeit von Ortskenntnissen sollte sich im Laufe des Tages noch bestätigen, nur ist ein einsamer Eingeborener leider nicht aufzutun.
Am Start sind 42 Teams, knapp 200 Teilnehmer, regennasse Wiesen und Bänke, eine handvoll Orgateam und ein MoMyMa. Letzteres ist der Mobile Mystery Manager, funktioniert phänomenal zuverlässig, lotst uns durch den Tag, spuckt hin und wieder einen kostenfreien Tipp aus, schenkt uns rote Balken für falsche Antworten und virtuelle Pokale für richtige. Und obendrein schickt er uns nach richtiger Beantwortung einer Frage zur nächsten Station. Kurz, man hat keinen blassen Schimmer, wo es entlang geht, wie weit es geht, in welches Gelände und wann die letzte Frage kommt. Wir sind definitiv das Team mit der weitesten Anreise. Und das älteste Team sind wir auch. Leider auch definitiv.
9.00 Uhr pünktlich ist Startschuss. Wir bekommen einen Zettel mit Labyrinth, selbiges ist in lauter kleine Eckchen zerteilt, wir zücken sofort die Schere. 25 Schnipsel später erkennen wir, dass das sooo einfach nicht ist, dass das ein Mördergefummel ist und Windböen echt doof sind. Aus den Augenwinkeln nehmen wir wahr, wie erste Teams den Stadtgarten bereits verlassen. Ganz offensichtlich besitzen sie über mehr Feinmotorik oder größere Scheren. Oder sie können besser puzzeln? Plötzlich sehen wir ein K und ein O, ein E hatten wir schon länger in Verdacht, wir machen KOHLE, bekommen einen Glückwunsch aufs Handy, dürfen uns den nächsten Zettel abholen und werden auf einen Spaziergang durch das Südviertel geschickt.
Vorbei an ganz vielen Frisörgeschäften, Reisebüros, Kneipen, Straßenbahnschienen und wieder Frisörgeschäften. Hier gilt es, Aufmerksamkeit bis in die letzte hairbstblonde Haarspitze zu bewhaaren, alles haargenau zu notieren und behaarrlich zu bleiben – gelingt uns ganz gut, uns Grauhaarigen. Auch das anschließende – übrigens ganz reizende, um die Ecke gedachte – Kreuzworträtsel wird eine haarige Angelegenheit und James Blond, Pony und Clyde führen uns über Haarwaii und die Sahaara recht flott zu einer U-Bahn-Haltestelle ein phaar Straßen weiter…
Zu diesem Zeitpunkt – Ankunft Rätsel 4 – liegen wir gefühlt grad so in der vorderen Hälfte, mehr hinter uns als vor uns. In Wirklichkeit lagen wir da deutlich besser, mindestens unter den Top 8. Aber so was weiß man erst hinterher, am Tag danach, beim Studieren der Statistik.
Und dann kommt unser Tief. Mittagsloch. Um die Zeit machen wir vermutlich sonst unser wohlverdientes Mittagsschläfchen. Also, Ankunft an Station 4, Stationscode eingeben, Zettel lesen – „nehmt schon mal die nächste U-Bahn nach Werden“. Die U-bahn ist hier nicht U, sondern Ü. Oder O – jedenfalls fährt sie oberirdisch, ich höre sie kommen und rufe „reeeeennt!“, aber meine Herren haben halt auch nimmer die Reaktionszeiten von damals, werden kein bisschen schneller und wir verpassen den Zug. Der nächste geht ne halbe Stunde später. In der Wartezeit füllt sich der Bahnsteig mit aufrückenden Teams, das bringt Unruhe und Unkonzentriertheit. Außerdem fehlt uns bei der Frage dieser Station eindeutig die Ortskenntnis, wir müssen praktisch jeden einzelnen Straßennamen googlemapsig verorten, das kostet uns richtig Zeit. Wir sind mit der Frage noch nicht einmal fertig als wir schließlich in Werden aussteigen. Und hier werden wir von richtig vielen Teams überholt. Irgendwann wissen auch wir, wo es weitergeht und schleppen unsere alten Knochen auf die Brehminsel. Unterzuckert und dehydriert. Unser Erschöpfungszustand wirkt so mitleiderregend, dass uns die Konkurrenz einen Weihnachtskeks spendiert. Dankeschön an dieser Stelle. Nützen tut der Spekulatius leider nichts, zwar entmorsen wir sofort den entscheidenden Code, verspekulieren uns aber bei der Bildersuche, genauer, wir vergaloppieren uns in Flaggenalphabete und schrammen schließlich um Haaresbreite an einem kostenpflichtigen Tipp vorbei, weil Supi uns zurückmorst.
Beim Verlassen der Insel kommen uns einige Teams entgegen, das tut uns ganz gut – wir sind vielleicht doch nicht so weit hinten wie befürchtet. Zudem erspähen wir 200 Meter weiter einen Bäcker, kaufen ihm die letzten sechs Rosinenbrötchen ab und von nun an sollte es bergauf gehen. Mit uns und auch die Strecke. Die Rosinnebrötchenwende sozusagen. Nix wie hoch zum Aussichtspunkt Baldeneysee. Aussicht ignorieren wir – shame on us – es hat wirklich keiner von uns runtergeguckt und den See gesehn. Herrje. Paare benamsen ist unsere Aufgabe (Lolek und Bolek, Euphrat und Tigris,…) – und hier ist unser Alter sicher kein Nachteil, wir füllen die 96 Felder praktisch ohne Stift absetzen und googeln aus, Sugus erkennt sofort die sich ergebende Blindenschrift und wir decodieren:
„Gehe! Go!“ und „Heissiwald“ oder so ähnlich. Okay, Heissiwald gibt es hier oben tatsächlich, aber die doppelte Aufforderung? Doppelt so schnell dahin gehen? Hmmm – nun gut, wir machen ein O zum E und uns selbst auf den Weg zum Gehege. Nicht zum Gehego.
Und nebenbei zwei Teams überholt bei der Frage. Läuft.
Am Gehege ist alles wild. Wildgehege eben. Und kein Bänkchen frei für uns. Auf mein Anraten laufen wir 100 Meter zurück, dort hatte ich ein freies Plätzchen entdeckt. Merke, es rätselt sich besser im Sitzen. Und merke weiter, es rätselt sich auch besser im Trocknen. Die Bank erweist sich als „best bench ever“ als es anfängt zu schütten, wir aber gemütlich und geschützt unter den Bäumen auf unserem Bänklein sitzen und die Motte Charlotte, die Qualle Chantalle und Hein, das Schwein in unseren Regenunterschupf flüchten. Auch hier überholen wir wieder zwei, drei Teams, die sich ob des Regens in die Büsche geflüchtet hatten oder dicht gedrängelt unter der Aussichtsplattform Schutz suchen.
Wir verlassen die Rehgehegewege und wandern bergab auf unwegsamem Terrain zur Haltestelle Seeblick, wo uns eine Frage mit ganz vielen Autokennzeichen erwartet. In acht Minuten kommt der nächste Bus, kein anderes Team ist in der Nähe. Hier spielen wir erneut unseren besten Joker aus – unser Alter und unsere ErFAHRung. Hier im besten Wortsinn. Kurzes Brainstorming, was haben die Kennzeichen gemeinsam? Gleiches Bundesland? Nein. Alle am gleichen Fluss? Nein. Alle an der gleichen Autobahn, schlägt Marvin vor. Die Spur sieht vielversprechend aus, der Bus kommt, wir verfolgen die Spur und haben die Lösung noch bevor wir an der Margarethenhöhe ein paar Stationen weiter wieder aus dem Bus klettern.
Überraschung! Hier sitzen mehrere Teams am Straßenrand und knabbern noch an der Autobahnfrage herum und wir führen unser Überholmanöver fort und fühlen uns großartig. Der Weg zum Marktplatz führt an Bierbänken, Grillwürstchen und dem entzückenden Charme der ehemaligen pittoresken Künstlerkolonie vorbei – wir müssen leider alles unbeachtet lassen. Dafür gibt’s die nächste Frage zwei Meter fünfzig neben einem Café. Kurzentschlossen kehren wir ein, man muss schnippeln, da ist ein Tisch und Milchkaffee grad recht. Außerdem liegen wir ganz gut, ganz vorne sicher nicht, weil die Bedienung schon andere hat schnipseln sehen. Wir kleben uns eine Wegbeschreibung zusammen und schrittezählen uns zur großen Marktplatzuhr und von da aus einem Team hinterher, das etwa 20 Meter, äh 28,7 Schritte vor uns um die Ecke biegt. Schnell haben wir sie eingeholt und laufen gemeinsam weiter. Eigentlich haben wir eine ausgefeilte Arbeitsteilung an dieser Stelle. Marvin gibt die Schrittzahl an, ich rechne in Meter um und Supi misst die Meter mit dem GPS. Zur Sicherheit zählt Sugus die Schritte mit. So die Theorie. In der Praxis quasselt Supi das andere Team voll und ist högscht unkonzentriert. Trotzdem (ha!) finden wir die nächste Station.
Hier sitzen schon zwei Teams rum und sind am Denken. Wir fischen unseren Aufgabenzettel aus Nachbars Garten, derweil sich die beiden anderen Teams verabschieden. Wieso das „Jägerschnitzel Reloaded“, unsere Mitläufer von eben, seine Frage erst mit Verspätung abholt, bleibt unklar, vermutlich hat Supi sie mürbe gequatscht.
Des Rätsels Lösung bereitet hier dank der vielen Buntstifte, die ich den ganzen Tag herumtrage, kein Problem und weiter geht’s zum Kräutergarten. Das ist knapp einen Kilometer entfernt, wir laufen zu Fuß und beim Blick auf die Statistik lässt sich an dieser Stelle zum Beispiel ganz gut erkennen, dass die jungen Leute echt schneller auf den Beinen sind als wir. Also hinterher erkennen wir das. Auf der Strecke gibt es solche Informationen nicht, nur zunehmend Knieschmerzen.
Der Kräutergarten besitzt einen großen Schaukasten und drei Teams, die dort gärtnern. Eines erhebt sich als wir ankommen und überlässt uns freundlicherweise die Sitzbank, vermutlich das „Team ohne Schlagsahne aber mit Ersatzschnürsenkel“, die späteren Gewinner. Wir sind ein paar Minuten lang zu blöde, den Aufgabenzettel zu finden, fast zu prominent hängt er einfach im großen Schaukasten herum. Blumen- und Pflanzennamen kennen wir, keine 7 Minuten später ist die Frage beantwortet, wir bekommen einen weiteren virtuellen Pokal, unsere Punktzahl steigt auf 44 und das Spiel ist aus.
Wie?
Aus?
Nix mehr weiter?
Es ist erst 17.37 Uhr und wir hatten fest mit unserem Einsatz bis 20 Uhr gerechnet. Zur Sicherheit rufe ich im Hauptquartier an und lasse mir bestätigen, dass wir vor der Siegerehrung um 21 Uhr ruhig erstmal ins Hotel zum Duschen und Abendessen können. Machen wir. Klasse.
Die anderen beiden Teams überlassen wir der Botanik, die haben wir tatsächlich an der letzten Station überholt. Schön, wer seine Blümlein kennt.
Leicht überdreht, glücklich und reichlich erschöpft freuen wir uns, wir vermuten uns unter den Top Ten. Achter Platz vielleicht, das wär famos.
Nun, es sollte Platz zwei werden, eine formidable Silbermedaille.
Sehr herzlichen Dank. An die Organisatoren und ans Team.
in: ein Brillenbügel, ein roter Buntstift, ein 24-Stunden-Ticket, sechs Rosinenbrötchen, viel Schmierpapier und 15 Kilometer Fußmarsch
out: einen Riesenspaß
Dass die Nachbesprechung und Analyse beim Nachevent im Extrablatt ein Kapitel für sich ist, brauche ich wohl nicht erwähnen, oder dass wir den Ausrichter der Sudoko-Weltmeisterschaft kennenlernen durften – aber das ist eine eigene Geschichte…